Gemeinde Wilstedt

Homepage der Gemeinde Wilstedt anlässlich der 1150-Jahr-Feier im Jahre 2010


Gemeinde Wilstedt

Homepage der Gemeinde Wilstedt anlässlich der 1150-Jahr-Feier im Jahre 2010

Frühere Wilstedter Hochzeitsbräuche
und was davon geblieben ist

von Hermann Meyer Rektor i.R.*

„Schönen guten Tag“!
Glück diesem Haus!

Und alle, die so im Hause sind, kommt nun zusammen und hört, was ich Euch habe zu sagen:

Ich komme hier nun hergeschritten. Hätte ich ein Pferd, ich wäre geritten: aber nun habe ich mein Pferd beim Futter steh’n, und ich muss zu Fuße geh’n. Ich bin ausgesandt und Hochzeitsbitter genannt. Es haben mich hier hergesandt der Bräutigam (Name) und die Braut (Name). Sie laden euch ein zu ihrer Hochzeit, alle, groß und klein. Am kommenden Freitag (Datum), nachmittags 3 Uhr soll Trauung sein. So stellt Euch ein in dem hochzeitlichen Hause und helft verzehren, was der Herr hat beschert so an Speise und Trank, etliche Tage lang. Denn 5 fette Ochsen und 10 fette Schweine, Gänse und Hühner sind zubereitet. An Bier und Branntwein soll’s ebenfalls nicht fehlen. Musikanten sind auch vorhanden. Ihr sollt mit Braut und Bräutigam zur Kirche gehen. Da werdet Ihr hören, wie der Mann die Frau und die Frau den Mann soll ehren.

Und nun, Ihr jungen Leute, hört, was ich Euch habe zu sagen: Ihr dürft Euch nicht in Ecken und Winkeln umhertragen. Denn Ecken und Winkel sind vergänglich, und nachdem werdet ihr schwach und kränklich. Jetzt habe ich noch eine Bitte an die Jungfern und Jungfrauen, dass sie mir helfen verbessern das Kränzelein. Dann sollen auch sie nicht ewig Jungfer und Jungfrau sein. Euch allen aber soll werden dieser Tag zu einem Genuss, und nun mache ich Schluss.“

„Een schönen gooden Dag!
Glück för dit Hus.

Und all, de ji hier in`t Hus sünd, komt tohoop und hürt, wat ick jo to seggen hew:

Ick kom hier nu herpett`. Harr ick`n Peerd, denn seet ick opp`n Rüch vör`n Steert. Ower nu hew ick mien Gaul bi`t Foer stohn, dorüm mütt ick to Foot nu gohn. Ick bün as Hochtiedsbidder losschickt. De Brögam (Nom) und de Brut (Nom) hebbt mi hierher bestellt. Se load jo in to jümehr Hochtied, jo all, Grote und Leete. An`n tokomen Freedag, (Dotum), nömiddoogs Klock dree schall Troung ween. So find`t jo in`t Hochtiedshus in und hülpt dorbi, `n poor dooglang to vertehrn, wat de Herrgott uns schinkt hett an Eten und Drinken. Denn fief fette Ossen und teihn fette Swien, Göös und Höhner sünd prootmookt. An Beer und Brandwien schall`t ebenso ne fehlen. Müßkanten sünd dor uck. Ji schöllt mit Brut und Brögam no Kark hingohn. Dor könt ji hürn, wie een Mann de Froo und een Froo den Mann schall ihrn.

Und nu to jo, ji jungen Lüd. Hürt to, wat ick jo to seggen hew. Ji dröft jo ne in Ecken und Winkel rümdrücken. Denn Ecken und Winkel sünd vergänglich, und ji wird dorbi licht swach und kränklich. Und nu hew ick noch`ne Bitte an de Jungfern und jungen Froonslüd: ji schöllt mi hülpen bi`t Kranzbinnen. Dennso bliewt ji uck ne ewig Jungfer und junge froonslüd. För jo all ower schall disse Dag wirden to`n Genuß! Und ick mook nu Schluß!“


So lautete der Spruch des Wilstedter Hochzeitsbitters Hinrich Junge (gestorben am 28.03.1959), der dieses Amt viele Jahre treu und gewissenhaft ausübte. Gar manches Mal wurden diese Worte in den Häusern von Wilstedt und Umgegend aufgesagt. Selbstverständlich blieb der Hochzeitsbitter, dessen Hut und Handstock mit Blumen und Schleifen geschmückt waren, dabei nicht stecken, obgleich mancher Spaßvogel versuchte, ihn aus der Fassung zu bringen. Zur Belohnung gab es dann meistens ein Gläschen Schnaps oder eine Zigarre. Mit diesem Einladungsauftrag war jedoch der Aufgabenbereich des Hochzeitsbitters keineswegs erschöpft.

Für drei bis vier weitere Tage hatte er viel zu tun. Er war eine art Zeremonienmeister. Als solcher musste er die Vorbereitungen für das Fest leiten. Ihm oblag es, die acht Frauen der „Nachbarn in Not und Tod“ zum Helfen zu bestellen, die jungen Mädchen aus der Nachbarschaft zum Kranzbinden einzuladen sowie Tische, Gestühl und dergleichen in den Festsaal bzw. die Festdiele zu schaffen. Am Hochzeitstag selber überwachte er das Decken der Tische, das Auftragen der Speisen, das Abräumen des Geschirres, bestimmte die Platzordnung, empfing die Gäste und führte sie an ihre Plätze. Ferner sorgte er dafür, dass jeder Gast zu seiner Zufriedenheit bewirtet wurde und nicht allzu lange vor einem leeren Teller saß. Seine Frau nahm ebenfalls am Hochzeitsdienst teil, half bei den Vorbereitungen und führte Regie beim „Schöttelwaschen“ (Geschirr abwaschen). Nach dem Essen übernahm der Hochzeitsbitter hinter der Theke einen Schenkplatz. Am Tage nach der Hochzeit leitete er die Aufräumarbeiten an der Feierstätte.

Früher wurden häufig zu einer Hochzeit sämtliche Häuser im Dorf eingeladen sowie Verwandte und Bekannte aus der Umgegend dazu. Zumeist nahm ein Ehepaar aus jedem Haus teil, oft wechselten sich Eltern bzw. Großeltern dabei ab. Die Größe der Hochzeit wurde nach der Gästezahl eingestuft, die häufig mehrere hundert betrug. Jeder Gast gab dem Brautpaar ein Präsent, ehemals in Form von Geld, der „Goov“, die in einem geschlossenen Kuvert dem Brautpaar bei der Gratulation überreicht wurde. Später wurden auch manchmal Gebrauchsgegenstände geschenkt. Das Geschenk kauften dann zumeist mehrere Teilnehmer gemeinsam, nachdem man sich im Brauthause vorher nach Wünschen und Bedürfnissen erkundigt hatte. Häufig bildeten Nachbarn Präsentgruppen. Der Beitrag pro Person richtete sich nach dem derzeitigen Kaufwert des Geldes. Die 8 „Nachbarn in Not und Tod“ bildeten eine besondere Gruppe, denn sie spendeten außerdem noch Butter und Eier, die zum Kuchenbacken in Mengen benötigt wurden.

Mit der standesamtlichen Trauung am Vortage begann der eigentliche Festreigen. Die Fahrt zum Standesamt wurde mit einem blumengeschmückten Kletschwagen vorgenommen. Die Kinder fieberten diesem Ereignis schon tagelang vorher entgegen. Mit Seilen (Achterreepen) sperrten sie dem Brautpaar den Weg, wenn es vorbeifuhr. Die Brautleute mussten sich dann freikaufen mit der Verteilung von Bonbons oder Geldmünzen, die sie auf den Boden streuten. Die Kinder stützten sich darauf und ließen das Seil auf die Erde fallen, so dass der Wagen die Fahrt fortsetzen konnte. Erwachsene, die bei der Sperre standen, erhielten einen Schnaps eingeschenkt.

Am gleichen Tage brachte der „Brutwogen“ die Aussteuer der Braut in ihr neues Heim. Ein frisch gebundener Besen aus Behntgras überragte die ganze Fuhre. Er war mit einer roten Schleife geschmückt. 1951 oder 1952 rollte der letzte Brautwagen durch Wilstedt, danach war die Sitte gestorben. Am Abend desselben Tages polterten die jungen Leute. Dieser symbolische Brauch ist seit alters her geblieben. Die Scherben sollen dem Brautpaar für den gemeinsamen Lebensweg Glück bringen. Wenn die Polterer eindeutig Scherben von Schutt zu unterscheiden wissen, bedankt sich auch heute noch der Bräutigam für den symbolischen Glückwunsch gern mit einem Gläschen Alkohol.

Während draußen gepoltert wurde, wanden auf der Diele die Bindemädchen die Hochzeitskränze für die Türen. Etliche Burschen, die das Grün aus dem Walde geholt hatten, bedienten sie dabei. Sie zerkleinerten die Zweige und reichten sie zu. In der Küche wirtschafteten unterdessen die acht Nachbarfrauen. Sie bereiteten das Hochzeitsmahl vor, schälten Kartoffeln und drehten Klöße, schnippelten und putzten Gemüse. Wenn die Arbeit getan war, gab es Kaffee und Kuchen. Doch am nächsten Tag stellten sich die Helfer wieder ein. Sie deckten die Tische zunächst die auswärtigen Gäste, die vor der Trauung noch Kaffee und Kuchen erhielten. Die Bedienung dieser „Weggäste“ übernahmen sie auch.
Die kirchliche Trauung fand gewöhnlich freitags in der zeit zwischen 14 und 16 Uhr statt, und zwar in der Kirche, denn Wilstedt ist ja ein Kirchdorf. Vor und während der Trauung deckten die Helfer die Tische für die Hauptmahlzeit, die nach dem feierlichen Akt eingenommen wurde. Vorweg gab es eine Suppe, in der Hühner- und Rindfleisch gekocht worden war. Es folgten Schweine- und Rinderbraten mit Gemüse (Erbsen, Bohnen, Wurzeln, Kohl) und Obst (häufig gezuckerte Backpflaumen oder Zwetschgen). Dazu wurde für je vier Personen eine Flasche Wein gereicht. Als Nachtisch diente Pudding. Die 8 Nachbarsfrauen und die Bindemädchen bedienten unter der Aufsicht und Regie des Hochzeitsbitters. Waren die Gäste zufrieden gestellt, aßen die „Oppassers“. Danach hatten die jungen Mädchen ihre Pflichten erfüllt und konnten sich dem Tanzvergnügen hingeben. Die acht Frauen hingegen mussten erneut abräumen, abwaschen und die übrigen Mahlzeiten vorbereiten. Nach dem Essen wurden Zigarren und Zigaretten angeboten. Früher war nur das Bier frei an der Schenke, heute gewöhnlich auch die übrigen alkoholischen Getränke.

Nach der Hauptmahlzeit brachen früher (bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges) das Brautpaar und der Pastor mit einem großen Teil der Hochzeitsgesellschaft zu einem Dorfrundgang auf. Unter Juchen und Lachen ging dieses so genannte „Rümmsworm“ (Umherschwärmen) vor sich. Dabei wurde all den Häusern ein Besuch abgestattet, aus denen verwandte Gäste zum Festmahl geladen waren. Die betreffenden Häuser mussten für die Bewirtung der „Rümmswormer“ Kaffee und Kuchen, Alkohol und Rauchwaren bereithalten. Die meisten Wilstedter sind heute froh, dass dieser Brauch während des Krieges eingeschlafen ist. Oftmals blieb nämlich eine Menge von den zur Bewirtung bereit gehaltenen Sachen übrig, denn die Gastgeber deckten sich vorsorglich reichlich genug ein. Man wusste vorher niemals genau die Teilnehmerzahl und wollte sich durch ein „zu kurz kommen“ nicht blamieren.

Das aus diesem Anlass auch Haus und Hof vorher gründlich in Ordnung gebracht wurden und dadurch erhebliche Mehrarbeit entstand, ist leicht begreiflich.

Nach dem Festessen begann das Tanzen. Früher diente dazu die Diele. Damit die Schuhsohlen besser rutschten, ließ der Gastgeber Häcksel streuen. Das staubte zwar ziemlich, half jedoch. Später ließ das Hochzeitshaus eine Leihtanzfläche verlegen. Nach dem 2. Weltkrieg wurde häufig ein Leihzelt aufgebaut. Fand die Feier bei einem Gastwirt statt, der bereits einen Saal besaß, wurde in dem getanzt. Gegen 23 Uhr begannen die traditionellen Brauttänze. Die nächsten männlichen Verwandten der Braut absolvierten je einen Tanz mit der Braut. Sie konnten den Tanz wählen und hatten der Musik ein angemessenes Extrageld zu geben. Um Mitternacht wurde der Schleier zerrissen. Heutzutage eröffnen zumeist Braut und Bräutigam das Tanzen, und die Brauttänze fallen fort.

Tanzen strengt an. Deswegen gab es auch abends und nachts noch wieder Essen. Gegen 23 bis 24 Uhr standen in den Stuben und auf dem Flur gedeckte Tische mit Kaffee und Kuchen für die Gäste bereit. Sie aßen dann wegen des Platzmangels schichtweise. Zwischen 1 und 2 Uhr nachts konnte man noch eine allerletzte Mahlzeit genießen: Kartoffelsalat mit Gulasch und Würstchen. Wer mochte, konnte eine Tasse Kaffee nach trinken.

Ein weiteres Essen beschafften sich die jüngeren Gäste nach altem Brauch selber. In der Morgenfrühe sammelten sie nach dem eigentlichen Abschluss der Hochzeitsfeier in der Nachbarschaft des Hochzeitshauses Eier. Diese musste dann die Braut persönlich in ihrem neuen Heim braten. Diese Sitte wird jedoch heute nur noch selten durchgeführt und wohl allmählich auch in Vergessenheit geraten. Die zukünftigen Bräute werden darüber sicher nicht traurig sein.

Ausgestorben ist auch der Brauch des so genannten „Schappenkiekens“ (Schränke gucken). Während der ganzen Feier musste früher das neue Heim den neugierigen Gästen zur eingehenden Besichtigung geöffnet werden. Sogar Schränke und Kommoden standen offen. Die Frauen zählten dann mit großen Augen die Anzahl der Handtücher, Bettbezüge und sonstigen Wäschestücke und sammelten auf diese Weise Gesprächsstoff für die nächsten Wochen. Die Männer nahmen am „Schappenkieken“ nicht teil! Sie gingen dafür lieber an die Theke. Gegen Morgen wurden die Gäste häufig recht lustig und ausgelassen. Die Musiker spielten für ein Extrageld manchmal Ehrentänze aus der Bodenluke heraus oder von der Hillen herunter. Oft wiesen die Gäste mit kurzweiligen Unterhaltungseinlagen auf die Zukunft des jungen Paares hin. Wiederholt spielte der Kinderwagen dabei eine Rolle. Unter dem Jubel und Gelächter der Zuschauer schoben die Spaßmacher eine als Baby verkleidete Puppe oder einen Erwachsenen, der infolge reichlichen Alkoholgenusses liegebedürftig war, mit der Milchflasche im Munde oder im Arm auf dem Saal vor der Braut hin und her. Ganz ausgelassene Burschen sollen einmal sogar ein Pferd davor gespannt haben.

Eine fröhliche Bilderhochzeit auf dem Lande:

Eine fröhliche Bilderhochzeit auf dem Lande
Eine fröhliche Bilderhochzeit auf dem Lande


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